Systeme linearer gewöhnlicher Differenzialgleichungen erster Ordnung
Homogene Systeme für zwei Variable
Im Folgenden betrachten wir ein System zweier linearer homogener Differenzialgleichungen erster Ordnung mit reellen konstanten Koeffizienten
das in Matrixform lautet
Die unabhängige Variable könnte z.B. ein Zeitparameter sein. Dieses System heißt autonom, da nicht explizit in den Gleichungen vorkommt, d.h. die Koeffizienten sind nicht -abhängig. Die Variablen und bilden die Komponenten eines Vektors, deren momentane Änderungsrate durch den Richtungsvektor
gegeben ist. Somit bestimmt das System den Richtungsvektor als Funktion von und . Stellt man durch einen Pfeil auf einem Graph mit und als Achsen dar, so entsteht das Richtungsfeld oder Phasendiagramm für das System . Es vermittelt den visuellen Eindruck einer Strömung. Aus dem Richtungsfeld entnimmt man die Gestalt der Lösungskurven oder Phasenkurven von . Eine Lösungskurve ist eine Kurve, deren Tangente in jedem Punkt gleich dem dort liegenden Richtungsvektor ist. Jeder Punkt auf einer Lösungskurve ergibt ein Wertepaar zu einem bestimmten Wert des Parameters . Daraus entstehen auch die einzelnen Lösungskurven und . Die Länge der Richtungsvektoren ist unwichtig für die qualitative Bestimmung der Lösungskurven, und somit lässt sich das Vektorfeld auch mit Pfeilen gleicher Länge darstellen. Übrigens sind Punkte, in denen ist, als kritische Punkte bekannt. Sie sind Lösungen des homogenen Gleichungssystem
und sind konstant, d.h. nicht -abhängig.
- Abb.1
- Richtungsfeld
Die Animation (Abb. 1) zeigt das Richtungsfeld als Funktion der Koeffizienten der Matrix . Für bestimmte Kombinationen der Koeffizienten sind geradlinige Lösungskurven im Richtungsfeld zu erkennen. Eine geradlinige Lösung in der -Ebene hat die Form
wobei ein konstanter Vektor ist. Der Nullvektor ist stets eine Lösung von und heißt die triviale Lösung. Das Differenzieren von nach ergibt
und ein Vergleich von und ergibt
Aus entnimmt man, dass
ist. ist eine trennbare lineare Differenzialgleichung erster Ordnung, deren Lösung lautet
Nach Substitution von in erhält man
Gleichung deutet an, dass ein Eigenvektor und der entsprechende Eigenwert der Matrix ist. Folglich ergeben die Eigenvektoren von die geradlinigen Lösungen des Systems in der -Ebene, d.h. Lösungen der Form
mit und konstant. Dieses ist geradlinig, da
ist.
- Abb.2
- Richtungsfeld
In der Animation (Abb. 2) sind zusätzlich zum Richtungsfeld zwei Vektoren und gezeigt, wobei ein beliebiger Vektor ist, dessen Richtung sich steuern lässt. Die Richtungen, falls vorhanden, in denen und kollinear sind, sind die Eigenrichtungen, und sie markieren die geradlinigen Lösungen des Systems in der -Ebene.
Eine reelle Matrix besitzt
- zwei verschiedene reelle Eigenwerte, oder
- genau einen reellen Eigenwert, oder
- zwei konjugiert komplexe Eigenwerte.
Zwei verschiedene reelle Eigenwerte
Im Falle von zwei verschiedenen reellen Eigenwerten und hat zwei linear unabhängige Eigenvektoren und , die als nichtkollineare geradlinigen Lösungen in der -Ebene zu sehen sind. Wegen der Linearität des Gleichungssystems ist aber die allgemeine Lösung
Die allgemeine Lösung entspricht einer beliebigen (nicht geradlinigen) Lösungskurve in der -Ebene.
Ist ein Eigenwert gleich null, z.B. die Matrix
hat einen Null-Eigenwert, dann hat das System unendlich viele kritische Punkte, die auf einer Geraden in der zum Null- Eigenwert gehörenden Eigenrichtung liegen. Die allgemeine Lösung lautet
Ein reeller Eigenwert
Sind die Eigenwerte reell und gleich (), dann lautet eine der Lösungen
Es muss aber gemäß der allgemeinen Theorie der linearen gewöhnlichen Differenzialgleichungen eine weitere Lösung von geben, die von linear unabhängig ist. Sie lässt sich mit dem Ansatz
finden, wobei der Vektor zu bestimmen ist. Wie bestimmt man den Vektor ? Differenziert man nach , so ergibt sich
Es gilt auch
Laut müssen und gleich sein, woraus man erhält
Die allgemeine Lösung ist dann
Zwei konjugiert komplexe Eigenwerte
Die komplexen Eigenwerte von sind
Ist der (komplexe) Eigenvektor zu , dann ist der Eigenvektor zu , da für reelle gilt
Die allgemeine Lösung ist
und wegen der Linearität des Gleichungssystems sind die Real- und Imaginärteile und von auch Lösungen, d.h.
mit
( beliebige Konstante) genügt
Somit lässt sich die allgemeine Lösung eines Gleichungssystems mit komplexen Eigenwerten in folgender Realform schreiben
Schlussbemerkung
Die homogene lineare Differenzialgleichung zweiter Ordnung mit konstanten Koeffizienten
ist zum System
äquivalent (siehe lineare DG-Umwandlung in ein System erster Ordnung). Die Koeffizientenmatrix des Systems
besitzt das charakteristische Polynom
das der charakteristischen Gleichung der Differenzialgleichung entspricht.