Energetische Stoffgrößen und ihre Messung
Reaktionswärme
Die Verbrennung dürfte eine der ersten Erfahrungen der Menschen gewesen sein, bei der sich Stoffumwandlungen mit erheblicher Wärmeentwicklung verbanden. Aber erst seit dem ausgehenden 18. Jh., eingeleitet durch Lavoisier, begann sich die Chemie zu einer exakten Naturwissenschaft zu entwickeln, was auch die genaue Messung der Wärmeeffekte betraf. Die meisten chemischen Reaktionen führen zu einer Temperaturerhöhung der Reaktanden (exotherme Reaktion), wenige auch zur Abkühlung (endotherme R.). Um von qualitativen zu quantitativen Angaben zu kommen, musste festgelegt werden, was genau unter der „der Wärme einer chemischen Reaktion”, kurz Reaktionswärme, zu verstehen ist.
- Reaktionswärme
- Die Reaktionswärme ist diejenige Energie, die bei einem Umsatz gemäß Reaktionsgleichung (= ein Formelumsatz, FU) zu- oder abgeführt werden muss, damit die Temperatur der Reaktanden konstant bleibt. Diese Temperatur ist zusammen mit der Reaktionswärme in anzugeben, ebenso wie die Angabe, ob die Reaktion unter Konstanz von Druck oder Volumen stattfand.
Man kann diese Festlegung und den tatsächlichen Verlauf des Experiments wie folgt veranschaulichen. Zur Bestimmung von denken wir uns den Ablauf in zwei Schritte unterteilt, die in Abb. 1 in Form eines Zustandsdiagramms für die chemische Reaktion gezeigt sind.
- Die Edukte reagieren bei der gegebenen Temperatur zu den Produkten, die die gleiche Temperatur annehmen. Die bei der Reaktion freigesetzte (oder aufgebrauchte) Wärme ' denken wir uns vom Reaktionssgefäß in einen separaten „Wärmetopf” überführt (bzw. aus ihm entnommen und dem Reaktionsgemisch zugeführt). Das Apostroph an symbolisiert, dass sich die Wärme auf die tatsächlich umgesetzten Stoffmengen und nicht auf einen Formelumsatz gemäß Reaktionsgleichung bezieht. Nach Reaktionsende haben die restlichen Edukte und alle Produkte die gleiche Temperatur wie am Anfang. Die Reaktion verlief virtuell isotherm (Abb. 1: waagerechte Zustandsänderung bei konstanter Temperatur ).
- Falls die Reaktion exotherm war, wird nun die Wärme ' aus dem „Wärmetopf” ins Reaktionsgemisch zurückgeholt. Dadurch steigt die Temperatur aller Stoffe und Kalorimeterteile um an. War die Reaktion endotherm, so muss der „Wärmetopf” wieder entsprechend mit Energie aus dem Reaktionsgemisch aufgefüllt werden, d.h. das Reaktionsgemisch kühlt sich um ab (Abb. 1: senkrechte Zustandsänderung mit Temperaturänderung nach ).
Den tatsächlichen Verlauf des Experiments zeigt in Abb. 1 der schräge Pfeil von oben links nach unten rechts: Die Umwandlung der Edukte in die Produkte und die Temperaturänderung von nach finden gleichzeitig statt.
Experimentelle Bestimmung von Reaktionswärmen
- Hinweis
- Vor Beginn eines solchen Experiments ist zu klären, ob die chemische Reaktion
- praktisch vollständig verläuft oder
- zu einem Gleichgewichtsgemisch führt.
- Im Fall 1 kommt in der Regel ein anisothermisches Kalorimeter zur Anwendung, typischerweise mit einem gedeckelten Gefäß bei konstantem Druck oder mit einem Bombenkalorimeter bei konstantem Volumen (Verbrennungsreaktionen ).
- Im Fall 2 ist eine quantitative Analyse für eines der Edukte oder Produkte erforderlich, um die Umsatzstoffmenge und daraus die Gleichgewichtskonstante zu bestimmen. Hier ist es angebracht, die Umsatzstoffmenge für verschiedene Temperaturen zu messen und aus der -Abhängigkeit von die Standardreaktionsenthalpie zu berechnen. Sie ist zahlenmäßig gleich der Reaktionswärme.
Nachfolgend wird die typische Verfahrensweise mit einem anisothermen Kalorimeter behandelt. Alle Reaktanden befinden sich gelöst in der Kalorimeterflüssigkeit, in die ein Rührer und ein Thermometer taucht. Primäre Messgröße ist die Temperatur der Kalorimeterflüssigkeit. Die Vorgehensweise sei mit der folgenden allgemeinen Reaktionsgleichung näher erläutert.
- Im ersten Schritt werden die Edukte in das Kalorimeter eingebracht: Zum Beispiel Stoff A gelöst in Wasser, das zugleich als Kalorimeterflüssigkeit dient, und Stoff B in einer dünnwandigen Glasampulle, die an einem dünnen Faden im Wasser hängt.
- Wenn die Temperatur konstant ist (oder sich wegen der geringen Wärmeleitung durch die Kalorimeterwand nur noch langsam linear ändert, auch als Drift bezeichnet), wird der Faden durchschnitten und die auf den Gefäßboden gefallene Ampulle mit dem Magnetrührer zertrümmert.
- Die Reaktion setzt ein, die Stoffe C und D entstehen. Die Temperatur steigt oder fällt (deutlich schneller als die Drift), je nach Vorzeichen der Reaktionswärme (negativ bzw. positiv).
- Wenn die Reaktion beendet und die Temperatur wieder konstant ist (oder wie oben erwähnt, sich langsam linear ändert), wird gemessen.
Die Stoffmengen der Reaktanden haben bei Reaktionsende die Werte mit . Mit den als bekannt angenommenen Wärmekapazitäten der Reaktanden und des Kalorimeters berechnet sich dann die gesuchte Wärme aus der gemessenen Temperaturdifferenz gemäß
- Hinweis
- Oft sind die in Gl. (2) benötigten Wärmekapazitäten nur ungenau oder gar nicht bekannt. In diesem Fall bringt man in das Kalorimeter zusätzlich einen Ohm'schen Widerstand ein, mit dem dem Reaktionsgemisch eine genau bekannte Joule'sche Wärme zugeführt werden kann.
Bei einer exothermen Reaktion steigt die Temperatur während des Ablaufs der chemischen Reaktion um den Wert . Er ist in einem Beckmann- oder Kalorimeterthermometer bis auf etwa ein Hundertstelgrad genau ablesbar. Nachdem die Temperatur wieder um den gleichen Wert gesunken ist, wird im elektrischen Heizkreis der Strom eingeschaltet und das Reaktionsgemisch in der Zeit um genau den gleichen Wert erhitzt. Die gesuchte Wärme ist dann gegeben durch
Bei einer endothermen Reaktion vereinfacht sich die Verfahrensweise, da die Temperatur um den (genau abgelesenen!) Wert gesunken ist. Sofort, ohne Pause, wird der Strom eingeschaltet und das Reaktionsgemisch und die restlichen Kalorimeterteile für eine Zeit erwärmt, bis die Anfangstemperatur wieder erreicht ist. Die gesuchte Wärme ist wiederum durch Gl. (3) gegeben.
Schließlich muss der gemessene Wert auf einen Formelumsatz gemäß obiger Reaktionsgleichung umgerechnet werden. Dafür wird die Stoffmenge eines Reaktanden zu Beginn und im chemischen Gleichgewicht benötigt, z.B. für das Edukt bzw. . Dann gilt
Gemäß Gl. (4) ist zusätzlich zur Einwaage der Edukte (und gegebenfalls des Lösungsmittels) eine quantitative Analyse für das Edukt durchzuführen. Sie ist nicht erforderlich, wenn die chemische Reaktion vollständig verläuft (Umsatz 99,9 %)! Die Neutralisation von starken Säuren und Basen und Verbrennungswärmen organischer Substanzen fallen in diese Kategorie und sind früh im Kalorimeter bestimmt worden.